Autoregulative Modelle

Hygiogenese

Der gesamte Therapieansatz zur Förderung autoregulativer Selbstheilungsvorgänge (Matthiessen, 1994) wurde als Hygiogenese definiert und bildet einen alternativen Denkansatz zur pathogenetisch orientierten, konventionellen Medizin (Hildebrandt, 1977).

Das philosophische Konzept hinter dieser Prämisse folgt einer teleologischen Gesundheitsvorstellung, die davon ausgeht, dass Entwicklungen und Ereignisse einem in sich wohnenden Sinn und Zwecke folgen und dadurch auf ein Ziel zustreben.

Regulatives Denken im Krankheits- und Gesundungsprozess bedeutet, beständig der Frage nachzugehen: „Was dient welchem Zweck?“ - Krankheiten werden als Anpassungsprozesse mit der Chance zur Reifung und Neuorientierung sowie einem Zugewinn an Robustheit aufgefasst.

Dementsprechend werden therapeutische Reize als längerfristige, die Regulation beeinflussende und umstimmende Maßnahmen verstanden. Diese müssen der individuellen Reaktionslage durch eine fein abgestimmte Reizdosis und Reizdauer sowie durch die Wahl des Zeitpunktes der Applikation angepasst werden.

Es werden drei Reiz-Reaktions-Phasen unterschieden:

  • Schonung,
  • Normalisierung und
  • Kräftigung.

Normalisierung

In der Phase der Normalisierung erfolgt die Rückkehr zur normalen Funktion durch gezielte Reize, die vor allem auf die Steuerungsprozesse des vegetativen Nervensystems abzielen und biorhythmischen Intervallen folgen. Der Regulierungsprozess wird als funktionelle Adaptation bezeichnet.

Kräftigung

Die Phase der Kräftigung beschreibt alle Trainingseffekte zur Steigerung der Leistungsfähigkeit mit Zunahme der Energiereserven, Muskelaufbau, Herz-Kreislauf-Training, aber auch Anpassungsvorgänge durch klimatische Reize und Anpassungsvorgänge.

Hygiogenetische Wirkprinzipien

Diese hygiogenetischen Wirkprinzipien stehen den Konzepten der gezielten Eingriffe in der konventionellen Medizin gegenüber und sollen sich mit diesen sinnvoll ergänzen. Es wird aus naturheilkundlicher Perspektive zwischen künstlichen und natürlichen Therapiekonzepten differenziert. (Hildebrandt, 1977)

Tab. 1 - Künstliche und natürliche Therapiekonzepte

Künstliche Therapie

Natürliche Therapie

Direkte Wirkung: kausalanalytischer Ansatz

Indirekte Wirkung: Reiz-Reaktions-Modell

Pathogenetische Orientierung

Hygiogenetische Orientierung

Wirkprinzipien:

  • Suppression, Ausschaltung
  • Steuerung, Lenkung
  • Ersatz, Substitution

Wirkprinzipien:

  • Schonung
  • Normalisierung
  • Kräftigung

Zusammenfassung

Naturheilkunde therapiert mit naturbelassenen Mitteln, um selbstregulative Prozesse zu stimulieren, die auf Überwindung von Störung und Krankheit in Richtung Gesundheit zielen. Das Methodenspektrum entspricht im Wesentlichen den Kneipp’schen Verfahren. In der Therapie kommt es darauf an, die individuelle Dosierung der Reize fortlaufend an die Reaktionslage anzupassen, um einen optimalen Wirkungsgrad der ineinandergreifenden Verfahren zu erreichen.

Hygiogenetische Maßnahmen wirken stets indirekt, indem sie die individuelle Reaktion und Responsivität mit gezielten Reizen aktivieren und trainieren. Im Therapieverlauf wird die Reizgestaltung anhand der Reaktionen ausgewertet und angepasst, um die gewünschte regulative Umstimmung zu erreichen.

Ordnungstherapie

Hierunter fallen alle Konzepte für eine gesunde Lebensführung, in denen die Selbstverantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit eine zentrale Rolle einnimmt. Sie zielen darauf ab, die Ordnung im Sinne gesunder Lebensprozesse wieder herzustellen und zu erhalten. Ordnungstherapeutische Hinweise sind in aller Regel zeitaufwendig, jedoch wenig spektakulär.

Ordnungsprinzipien

Überflüssiges wird weggelassen, Fehlendes wird ergänzt. Ersteres gilt insbesondere für schädliche Faktoren, die bekanntermaßen das Erkrankungsrisiko erhöhen.

Der Therapie, welche in ausführlichen Beratungen zwischen dem Therapeuten und dem Patienten stattfindet, geht dazu eine ausführliche Befragung zur Lebensweise voraus. Ordnungstherapeutische Hinweise werden dabei in drei Schritten umgesetzt:

  • Information: Die Zusammenhänge werden intellektuell aufgenommen.
  • Veränderte Haltung: Der Patient erkennt die Zusammenhänge der ungesunden Lebensführung und ist bereit für Änderungen.
  • Verhaltensänderung: Das Verhalten, Gewohnheiten usw. werden positiv verändert oder abgestellt.

Die Ordnungstherapie orientiert sich an den verschiedenen existenziellen Ebenen:

  • Persönliche, individuelle Ebene: Falsche Ernährung, Bewegungsmangel, Genussmittelmissbrauch und dessen Zusammenhänge
  • Soziokulturelle Ebene: Familienkonflikte, Stress am Arbeitsplatz, lokale Umweltbelastungen
  • Übergeordnete soziale Systeme: Ansehen des Berufsstandes, globale Umweltverschmutzung, klimatische Bedingungen

Auch wenn die Hinweise inhaltlich oft scheinbar schon bekannt sind, kommt es in der individuellen Beratung gerade auf die Vermittlung der Informationen an, welche individuell zu einer Verhaltensänderung führen. Um den Gestaltungsraum für die Hinführung zu einer solchen Selbstreflexion entstehen zu lassen und hilfreich zu begleiten, ist ein Zeitrahmen essenziell, der sich an den Gegebenheiten des Einzelfalles orientiert.

Ordnungsgesetze nach Bircher-Benner

Der Schweizer Arzt Bircher-Benner (1867-1939) wurde 1937 mit seinem Buch „Die Ordnungsgesetze des Lebens" Wegbereiter der modernen Ordnungstherapie und stellte verschiedene Hypothesen auf, die er als „Gesetze - das Reich der Ordnung" bezeichnete (Bircher-Benner, 1937):

  • Organisationsgesetz der Nahrung: Willkürliche Trennung in die Einzelbestandteile und ein-seitige Zubereitung von Nahrungsmitteln führen zu einseitiger und ungünstiger Nahrungswirkung. Es soll vegetarische Nahrung bevorzugt werden.
  • Gleichgewichtsgesetz der Ernährung: Die Ernährung sollte ausgewogen sein, hinsichtlich Menge, Kalorienzufuhr und Nährstoffen.
  • Das Ökonomiegesetz: Die Nahrungszufuhr soll gerade den Bedarf decken. Auch in anderen Lebensbereichen sollte man sich ökonomisch verhalten, d. h. in der heutigen Zeit beispielsweise auch die Häufigkeit der Auto- und Flugzeugnutzung überdenken.
  • Das Mundgesetz: Bei der Nahrungsaufnahme ist eine Ordnungshygiene zu beachten. Bissen sollten ausreichend gekaut, das Essen sollte in entspannter und angenehmer Atmosphäre eingenommen werden.
  • Das Ordnungsgesetz des Hautorgans: Haut, die angemessen Sonne, Wasser, Luft, Wärme und Kälte ausgesetzt wird, steigert Gesundheit und Wohlbefinden.
  • Das Ordnungsgesetz der Lungen: Die Lungen brauchen frische und saubere Luft zu jeder Zeit und an jedem Ort.
  • Das Ordnungsgesetz der Beziehung zur Schwerkraft: Gesundheit im Allgemeinen und die Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates im Speziellen erfordern regelmäßige Bewegung.
  • Das Ordnungsgesetz des Lebensrhythmus: Die Lebensweise sollte den Tages-, Monats- und Jahresrhythmen angepasst werden. Das hat beispielsweise Auswirkungen auf den Schlaf-/Wachwechsel oder den Arbeits-/Urlaubsrhythmus.
  • Das Ordnungsgesetz des Seelenlebens: Ein schlecht ernährter und wenig trainierter Körper erzeugt psychische Probleme. Jeder Erregungszustand hinterlässt seine Spuren in Psyche und Seele. Anhaltende Konflikte sollen gelöst werden.

Anwendungsgebiete

Grundsätzlich können ordnungstherapeutische Empfehlungen die Behandlung jeder Erkrankung sinnvoll unterstützen. Die praktische Erfahrung zeigt, dass gerade die wenig spektakulären weise konsequent umgesetzt, oft überraschende Effekte erzielen.

Studien, die sich speziell der Ordnungstherapie annehmen, existieren bislang nicht. Positive Wirkung einzelner Aspekte wie eine gesunde Ernährungsweise oder die Effekte der Bewegungstherapie sind bereits wissenschaftlich nachgewiesen.

Mind Body Medicine

Kapitel in Planung.


Quellen und Referenzen

  • Bircher-Benner, M. O. (1937). Ordnungsgesetze des Lebens. Bircher-Benner.
  • Hildebrandt, G. (1977). Über die Wirkprinzipien der künstlichen und natürlichen Therapie und die Notwendigkeit chronobiologischer Begutachtung. In Büttner, G. & Hensel, H. (Hrsg.), Biologische Medizin: Grundlagen ihrer Wirksamkeit (S. 170–179). Verlag für Medizin Dr. E. Fischer.
  • Matthiessen, P. F. (1994). Zum Paradigmenpluralismus in der Medizin. Hufeland Journal, 9, 61–71.

Verf.: glt | Rev.: gbh | Lekt.: pz | zuletzt geändert 16.05.2025