Der Wissenschaftsbegriff

Der Versuch, Wissenschaft allgemeingültig zu definieren, stößt schnell an Grenzen. Vereinfacht beschreibt Wissenschaft die Gesamtheit aller Erkenntnisse und Tätigkeiten, die ein bestimmtes Fachgebiet betreffen, untereinander in einem Begründungszusammenhang stehen und mit dafür geeigneten Methoden systematisch erforscht werden.

Wissenschaft fokussiert und erforscht systematisch stets einen umgrenzten Gegenstandsbereich mit angemessenen Methoden. Die Forschungsergebnisse sind mittels Logik und den für den jeweiligen Forschungsbereich definierten Methoden überprüfbar. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden geordnet und es wird versucht, diese auf überprüfbare Grundsätze zurückzuführen und wiederum aus diesen heraus widerspruchsfrei herzuleiten und zu erklären.

Wissenschaft und Wissensbereiche

Es existiert daher nicht die Wissenschaft an sich, sondern jeweils eine „Wissenschaft von“. Es geht mit anderen Worten um „etwas“, das es zu erforschen gilt, im jeweils passenden Kontext unter Verwendung geeigneter Methoden. Was Wissenschaft nun genau ist und wie sie ausgeübt wird, hängt somit vom definierten Bereich ab.

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden aktuell Formal- Real- und Handlungswissenschaften unterschieden. Die Einteilung dafür wird anhand des primären Wissenschaftsgegenstandes vorgenommen.

  • Die Formalwissenschaften haben abstrakte Sachverhalte zum Forschungsgegenstand, die sich in der Analyse formalen Systemen widmen. Dazu gehören: Mathematik, Logik, die reine Linguistik und die theoretische Informatik, in Teilen auch die Systemtheorie einschließlich der Kybernetik. Da die Forschungsinhalte formalwissenschaftlicher Disziplinen keine real existierenden Objekte sind, können Wahrheitswerte formalwissenschaftlicher Aussagen nur mittels Logik oder Mathematik überprüft werden.
  • Die Realwissenschaften (auch Erfahrungswissenschaften) haben real existierende Sachverhalte zum Forschungsgegenstand, die empirisch erforscht werden. Hierzu gehören die Naturwissenschaften mit Physik, Biologie, Chemie, Astronomie und Geowissenschaften sowie die Geisteswissenschaften mit Sprachwissenschaft, Pädagogik, Geschichtswissenschaften, Ethnologie, Kunst- Theater- Musik- und Kulturwissenschaften sowie Medienwissenschaften. Neben Überprüfung auf logische Konsistenz ist die Kontrolle der faktischen Aussagen durch Tatsachenforschung erforderlich, wozu eine fachspezifische Wissenschaftstheorie gebildet wird.
  • Die Handlungswissenschaften haben praktische Anwendungen als Forschungsgegenstand. Hierzu gehören die Ingenieurwissenschaften, Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften. Die Differenzierung als eigener Forschungsbereich entwickelte sich zu Beginn der 1990er-Jahre und entstand aus dem Bedürfnis, menschliches Handeln in den unterschiedlichsten Zusammenhängen wissenschaftlich zu untersuchen. Nach aktueller Lesart nehmen Handlungswissenschaften eine Sonderstellung ein, da sie in ihrem jeweiligen Kontext einen interdisziplinären Ansatz verfolgen.

Aus historischen Gründen werden seit Beginn des 20. Jahrhunderts Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften oft als getrennt und zum Teil gegensätzlich betrachtet.

Während sich Naturwissenschaften mehr auf die Erforschung allgemeingültiger Gesetzmäßigkeiten ausrichten sollen, betonen Geisteswissenschaften die Methoden des Verstehens von Individuellem, Einmaligen, Unwiederholbarem. Dieser scheinbar trennende Gegensatz ist jedoch im Grunde künstlich.

Vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus wird das Allgemeine durch Ableitung aus einzelnen Beobachtungen gewonnen und Individuelles kann nur erfasst und beschrieben werden, wenn es dazu ein allgemeines Verständnis mit begründeten Erklärungen gibt.

Dies zeigt sich vor allem in der Anthropologie (gr. Menschenkunde), welche naturwissenschaftliche, geisteswissenschaftliche und handlungswissenschaftliche Ansätze vereinen muss, um ein genaueres Abbild der Lebenswelt des Menschen in seinen Zusammenhängen zu erforschen und zu verstehen.

In diesem Zusammenhang ist die Definition der Humanwissenschaften sinnvoll, die sich mit dem Menschen an sich als Forschungsobjekt befassen und ausdrücklich eine interdisziplinäre Arbeitsweise verfolgen. Zu den Humanwissenschaften zählen derzeit Psychologie, Pädagogik, Fachdidaktik, Humanbiologie, die Medizin und Pflegewissenschaften, Kulturwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Ethnologie sowie auch die Archäologie.

Im angloamerikanischen Raum hat sich eine Rückbesinnung auf die studia humanitatis (lat. Menschenkunde) der Renaissance durch den Begriff der Humanities als Wissenschaftskategorisierung, die alle Wissenschaften mit Bezug auf Menschen (als Individuen oder Kollektive) zusammenfasst, zunehmend durchgesetzt. Mittlerweile hat der Begriff auch im Deutschen Einzug gehalten.

Philosophie

Eine Sonderstellung nimmt die Philosophie ein. „Die Philosophie (gr. philosophía - Weisheitsliebe) ist die primäre Lehre vom Erkennen und Wissen und den zugehörigen Prinzipien- und Methodenlehren der Einzelwissenschaften, als deren Ursprung und Rahmen sie angesehen werden kann.

Philosophische Erkenntnisse werden mithilfe der logischen, analytischen, dialektischen, diskursiven und hermeneutischen Methodik in neuerer Zeit auch in Zusammenarbeit mit empirischen Wissenschaften gewonnen. Zu ihren grundlegenden Disziplinen gehören Logik, Ethik, Ästhetik und Wissenschaftstheorie.

An diesen kann man ihr enormes Spektrum erkennen und ihren Brückenschlag bzw. Treppenbau zwischen formal unterschiedlichen Ansprüchen verschiedenen (Meta-)Ebenen und einer mathematisch-naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Ausrichtung …“ (Bendel, o. J.; Philosophie)

Die Philosophie stellt somit nicht nur die wesentlichen Denkwerkzeuge zur Verfügung, mit deren Hilfe wissenschaftlich systematisches Arbeiten je nach Kontext definiert werden kann, sondern begründet auch die Erkenntnistheorie (Epistemologie gr. epistéme – Wissen, Erkenntnis und lógos – Lehre) als übergreifende Theorie des Wissens an sich mit dem Subjekt (Wer?), der Methode (Wie?) und dem Objekt (Was?) der Erkenntnis.

Die Epistemologie erforscht, was Wissen an sich ist und auf welche Weise Wissen hergestellt und wie es begründet wird, was gewusst werden kann und wo die Grenzen der Erkenntnis liegen.

Wertfreie Wissenschaften

Das Ideal einer (wert)freien „objektiven“ Wissenschaft und die sich mit der Technisierung in den Vordergrund drängenden Erkenntnisse der Naturwissenschaften prägten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidend das moderne westliche Weltbild. Historisch ableitbar entwickelte sich daraus ein - über weite Strecken des späten 19. und des gesamten 20. Jahrhunderts hinauswirkender - unbegrenzter Fortschrittsoptimismus.

Einer Allmachtsvorstellung naturwissenschaftlich entwickelter Lösungsstrategien gleich ist Wissenschaft jedoch nicht frei von Glaubensvorstellungen und (Vor-)annahmen und (Vor-)urteilen der Forschenden, welche die Art und Weise beeinflussen, wie Forschung betrieben und interpretiert wird und wer letztlich was mit welchem erwarteten Ergebnis finanziert.

Dieser einseitig naturwissenschaftlich geprägte Fortschrittsoptimismus geriet daher in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zunehmend in eine grundlegende Krise. Ursache dafür waren die ökologischen Schäden einer rücksichtslos „wissenschaftlich-technischen Zivilisation“ sowie die schwer abschätzbaren gesellschaftlichen Risiken eines Menschenbildes nach dem Motto „erst mal ich, und dann sehen wir weiter“, das sich in den rein naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen zulasten der Lebensbedingungen abzeichnete. Es traten und treten zunehmend tiefe Zweifel an einer solchen „verwissenschaftlichen Technisierung aller Lebensbereiche“ ins Blickfeld der gesellschaftlichen Wahrnehmung.

Zudem kommen in kontroversen, zum Teil auch öffentlichen Diskussionen vielfach Fragen und Forderungen auf, nach der sogenannten,

  • objektiven und zweckfreien Forschung, mit
  • Forderungen nach einer Orientierung am real-existierenden gesellschaftlichen Bedarf und
  • der Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt.

Eingedenk dieser Problematik scheint angesichts der zu Beginn des 21. Jahrhunderts erneut in Erscheinung tretenden:

  • sozialen und ökonomischen Probleme,
  • in Bezug auf den Klimawandel und ökologisch-ökonomische Herausforderungen sowie
  • sich entwickelnder Zivilisationskrankheiten und Pandemiegeschehen,

in einem globalen Maßstab keine Alternativen zur wissenschaftlichen Bewältigung der ungelösten Aufgaben zu existieren.

Die eigentliche Herausforderung zu Beginn des 21. Jahrhunderts liegt daher erkennbar darin, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Denk- und Forschungsansätze konstruktiv zusammen zu führen.

Hierfür ist entscheidend, dass Wissenschaften in der Lage sind, wertfrei Erkenntnisse über gesellschaftliche Probleme und ihren Nebenbedingungen zu gewinnen und aufzubereiten, alternative Lösungswege zu artikulieren, ohne jedoch in den Entscheidungskonflikt zu geraten, was letztlich wie umgesetzt wird.

Wissenschaft soll und muss in diesem Sinne wertfrei sein und braucht eine gesellschaftlich getragene Unabhängigkeit, um sich unbelastet irren und korrigieren zu dürfen. Gesellschaftlich bedeutet dies, dass wertfreie Wissenschaft eine Analyse unterschiedlichster Lebensbereiche mit den verschiedensten Perspektiven - ökonomisch, ethisch, technisch, naturwissenschaftlich, theologisch usw. und ihren Lebensorientierungen vornimmt, ohne eine Bewertung abzugeben.

Wissenschaft ist nur dann wertfrei, wenn sie nicht für einen bestimmten Zweck instrumentalisiert wird. („Wertfreiheit“, o. J.; Metzler Lexikon Philosophie)

Wissenschaftspluralismus

Wissenschaft gerät dann in Gefahr, wenn bestimmte wissenschaftliche Methoden als der einzige oder beste Weg angesehen und durchgesetzt werden, um die Wahrheit über die Welt zu verstehen.

Eine solche Sichtweise kommt schnell einem Glaubenssystem gleich, da sie die Vorstellungen einer bestimmten Wissenschaft als oberste und einzige Autorität betrachtet. Aus diesem Weltbild heraus wird alles andere folglich als das „Falsche“ abgewertet und bekämpft. Ein solcher Denkstil kann als reduktionistischer Szientismus kritisch analysiert werden. (Schöttler, 2012)

Dem gegenüber steht ein offener wissenschaftlicher Diskurs. In einem pluralistischen Miteinander und interdisziplinär wirksam vernetzt, kann die sinnvolle Bewältigung der evolutionären Aufgaben in sehr konkreter Weise gefördert und bewältigt werden.

Statt sich in einem Kampf gegeneinander aufzureiben, sei es um

  • die Dominanz des jeweils eigenen Weltbildes oder um
  • die vorherrschenden marktwirtschaftlichen Gewinninteressen und
  • mit allen möglichen politischen und gesellschaftlichen Folgen

- und gerade dadurch die Entwicklung geeigneter Lösungen zu behindern oder zu unterbinden - wäre die Rückbesinnung auf die erkenntnistheoretischen Werkzeuge der Wissensbildung hilfreich. Diese bilden die Grundlage aller wissenschaftlichen Vorgehensweisen und können sie sinnvoll miteinander verbinden.

Dies leitet unmittelbar zu der zentralen Frage über, auf welche Weise sich wissenschaftliche Erkenntnisse durchsetzen und weiterhin, welche Position und Rolle die unterschiedlichen wissenschaftlichen Denkstile und ihre Instrumente zueinander haben.

Paradigmen in der Wissenschaft

Da wissenschaftliche Erkenntnisse allenfalls eine intersubjektiv nachvollziehbare Vorläufigkeit besitzen und Wissenschaftler sich selten so verhalten, wie Popper es forderte: „die eigenen Hypothesen aufzustellen, um sie anschließend beständig durch Falsifikation zu prüfen und ggf. zu vernichten“ prägte sich der Begriff des Paradigmas in der Wissenschaft als eine Art Entwicklungsschema (Thomas S. Kuhn, 1962 – 1969).

Definition Paradigma

Das Paradigma umfasst die Gesamtheit von Grundauffassungen, die in einer zeitlich beschränkten Epoche eine wissenschaftliche Disziplin ausmachen und bestimmen, vereinfacht als gegenwärtiges Weltbild der Wissenschaft zu verstehen.

Diese in Zeitabschnitten der Entwicklung gültigen Grundauffassungen zeichnen vor und bestimmen, welche Fragestellungen wissenschaftlich zulässig sind und was als wissenschaftlich befriedigende Lösung angesehen werden kann und was nicht.

Ein paradigmatischer Wechsel kommt stets einer wissenschaftlichen Revolution gleich. Er bahnt sich durch Widersprüche neuer Erkenntnisse an, kumuliert in eine Krise, um schließlich in eine veränderte Grundauffassung des bis dahin geltenden Wissenschaftsverständnisses zu münden. Dies geschehe nach Kuhn in charakteristischen Abläufen (Kuhn, 2017):

  1. Vorparadigmatische Phase: Fehlen eines verbindlichen Forschungsrahmens und einer einheitlichen Methodologie - mehrere Vorstellungen konkurrieren, um die Vormachtstellung mit Uneinigkeit über grundsätzliche Fragen und Orientierung.
  2. Normale Wissenschaftsphase: Es existiert eine dominante Orientierung und Vorstellung. Statt Pluralität existiert ein Monopolanspruch über Modell und Art von Problemlösungen. Mit der Zeit stoßen Wissenschaftler auf Probleme, die mit den herkömmlichen Forschungsansätzen nicht lösbar sind, da sie Fragen aufwerfen, welche sich dem vorherrschenden Paradigma entziehen. Diese als Anomalien bezeichneten Probleme kumulieren zu einer Krise innerhalb der wissenschaftlichen Denkstile.
  3. Paradigmenwechsel: Dieser geschieht meist revolutionär, wenn eine genügend hohe Dichte an Anomalien eine tiefgreifende Änderung in der Anschauung und Erkenntnis über die Welt auslösen. Die Entscheidung zwischen zwei Paradigmen kann jedoch nicht argumentativ begründet werden, da die Auffassung, welche Argumente als rational und folgerichtig gelten, Ausdruck des Paradigmas selbst sind.

Kuhn, und nach ihm andere Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftssoziologen konnten für diese Strukturanalyse viele Beispiele aus der Geschichte von Physik, Chemie und Biologie als Belege bringen.

Wissenschaftlichkeit als rationale Rekonstruktion

Die wesentliche Kritik an Kuhns Strukturanalyse der paradigmatisch-wissenschaftlichen Revolution bezieht sich vornehmlich auf die unscharfe Definition des Terminus „Paradigmenwechsel" an sich, da er sowohl metaphysische, soziologische als auch konstruktivistische Perspektiven mit dem holprigen Begriff der Inkommensurabilität beschreibt.

Inkommensurabilität

Inkommensurabilität ist definiert als mangelnde oder fehlende Vergleichbarkeit von Begriffen und Definitionen eines bestehenden Paradigmas mit einem anderen. Diesen Vorbehalt hat Kuhn folgendermaßen differenziert:

“Most readers […] have supposed that when I spoke of theories as incommensurable, I meant that they could not be compared. But 'incommensurability' is a term borrowed from mathematics, and it there has no such implication. The hypotenuse of an isosceles right triangle is incommensurable with its side, but the two can be compared to any required degree of precision.” (Kuhn, 2017, S. 179–199)

Auch wenn kein direkter „Term-zu-Term“-Vergleich zwischen verschiedenen inkommensurablen Theorien vorgenommen werden kann, so sind inkommensurable Theorien prinzipiell auf einer Metaebene durch aus vergleichbar. Rezeptionen seiner Arbeiten, die ihn als Vertreter eines Relativismus auffassen, widersprach er mehrfach entschieden.

Unabhängiger Wertevergleich

Anstelle eines Term-zu-Term Vergleichs könne also ein Vergleich durch unabhängig vom Paradigma geteilte Werte, wie zum Beispiel Genauigkeit, Einfachheit, interne und externe Konsistenz, logische Folgerichtigkeit u. a. stattfinden. Ein solcher Lösungsansatz setzt voraus, dass es nicht das eine gültige Paradigma geben muss, sondern dass im wissenschaftlichen Wettbewerb um Erkenntnis mehrere Paradigmen mit unterschiedlichen Perspektiven existieren. Dies wird auch durch weitere wissenschaftstheoretische Ansätze gestützt:

Aus soziologischer Perspektive ist der Versuch einer paradigmatischen Explikation von Wissenschaftlichkeit gescheitert. Wissenschaftlichkeit sei demnach das, was Wissenschaftler in einer Epoche als Wissenschaft betrachten und definieren. (Balog & Schühlein, 2008)

Aus Sicht der Falsifikationstheorie ist Wissenschaftlichkeit eine Auseinandersetzung und Konkurrenz unterschiedlicher Forschungsprogramme, die daran gemessen werden, ob es gelingt, eigenständig neue Resultate zu produzieren, die nicht eine reine Reproduktion von bereits Gesagtem sind.

Ein weiterführender Ansatz besteht folglich darin, das Kriterium der Wissenschaftlichkeit nicht auf einzelne Forschungsprogramme, sondern vielmehr auf die Art und Weise der Auseinandersetzung innerhalb und zwischen diesen Forschungen zu beziehen.

Methodologische Transparenz

Aus dieser Perspektive wird der Schwerpunkt auf die methodologische Transparenz gelegt. Unwissenschaftlich wird eine Aussage dann, wenn nicht allgemein nachvollziehbar dargelegt wird, wie Begriffe, Theorien und Resultate zustande kommen oder wenn der Kontakt zur Erfahrungswirklichkeit verloren geht.

Damit Gültigkeit erlangt wird, sollen alle in dem jeweiligen Gegenstandsbereich verfügbaren Erfahrungen und Forschungsresultate angemessen berücksichtigt werden. Widersprüche bleiben offen bestehen, bis neue Forschungsansätze in der Lage sind, sie aufzulösen und auf diese Weise die Erkenntnis weiter zu entwickeln.

Eine wissenschaftliche Disziplin sollte daher jederzeit in der Lage sein, die von ihr verwendeten Termini, insbesondere die grundlegenden zentralen Begriffe, in allgemein nachvollziehbarer Weise und ohne inneren Widerspruch „herzuleiten“.

Dazu gehört, darzulegen, wie diese Begriffe definiert werden, wie sie zustande kommen und wie ihre Anwendung nachvollziehbar gültig geregelt ist.

Diese Darstellung von Begriffen und Theorien wird als rationale Rekonstruktion bezeichnet und bildet das zentrale Kriterium der Wissenschaftlichkeit als Basis wissenschaftlichen Arbeitens.

Wissenschaftlichkeit als Methodik

Worin die Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft genau besteht, wird in der Epistemologie des 20. Jahrhunderts intensiv debattiert, wobei sich eine bedeutende Vielfalt entwickelte. Die für die Medizin wichtigsten Aspekte werden vorgestellt und in ihrer Bedeutung erläutert.

Empirie

Empirie bedeutet Erkenntnis aus Erfahrung. Eine wissenschaftliche Systematik zur Empirie, wie sie in den Naturwissenschaften (Physik, Chemie etc.) seit dem Zeitalter der Aufklärung praktiziert wird, geht vereinfacht folgendermaßen vor:

  1. Der zu untersuchende Bereich wird definiert und festgelegt.
  2. Ein geeignetes Experiment mit Beobachtung folgt.
  3. Es werden exakte Daten erhoben und methodisch (meist statistisch) ausgewertet.
  4. Daraus werden Hypothesen gebildet, die auf Rückschlüssen der Auswertung basieren.
  5. Dieses primär induktive Vorgehen analysiert Einzelbeobachtungen des Experimentes und formuliert Schlussfolgerungen für allgemeingültige Aussagen als Hypothese.
  6. Im nächsten Schritt wird die Hypothese in der Anwendung des gleichen oder ähnlicher Experimente erneut überprüft, korrigiert und modifiziert.
  7. Sind die Ergebnisse schlüssig reproduzierbar, werden aus den Hypothesen Regeln und Gesetzmäßigkeiten formuliert.

Die wichtigsten Denkwerkzeuge dieser Vorgehensweise sind Logik und Vernunft, praktisch umgesetzt mithilfe der Mathematik. Im Idealfall wäre das Ergebnis, auf diese Weise Naturgesetze aufzustellen und mathematisch zu beschreiben.

Der logische Empirismus, welcher sich in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts entwickelte[1], versuchte stets, die Sinnhaftigkeit verwendeter Begriffe und Aussagen mithilfe experimenteller Kriterien nachzuweisen.

So gefundene Naturgesetze seien, auch wenn sie mathematisch beweisbar funktionieren, jedoch keineswegs im Marmor gemeißelte Gesetze absoluter Wahrheit und dauerhafter Gültigkeit, also „keine Steintafeln des Moses“ mit ewigen Gesetzen.

Wie im nächsten Kapitel mit der Falsifikationstheorie durch Popper beschrieben, handelt es sich bei empirischen Analysen um statistische Wahrscheinlichkeiten, die auf abgeleiteten Modellen des vorherrschenden aktuellen Wissenschaftsverständnisses und seinen Theorien beruhen. Da es keine theoriefreien Beobachtungen gäbe, existierte auch keine theoriefreie Empirie, weshalb alle so gewonnenen Aussagen stets einen vorläufigen Charakter haben.

Es gelte stets zu versuchen, die Modelle und ihre aufgestellten Theoreme zu widerlegen, um zu tatsächlichem Erkenntnisgewinn zu gelangen. Dies wird durch die Methodik der Falsifikation vorgenommen, welche Inkonsistenzen und Widersprüche zwischen verschiedenen Annahmen einer Theorie nachweist.

Empirische Forschung

Bei noch so konsequentem Vorgehen hat empirische Forschung, auch wenn sie noch so exakt durchgeführt wird, natürliche Grenzen, die im Konzept selbst liegen, die mit wenigen Fragen beschrieben werden können:

Gibt es eine theoriefreie Beobachtung?

Eine reine Unvoreingenommenheit existiert nicht, da es stets Grundannahmen gibt, welche die Ausgangsfrage, den Versuchsaufbau, die Beobachtung und Auswertung eines Experimentes bestimmen. Gleichzeitig ist der Beobachter immer ein Teil des Experimentes selbst. Seine Voreingenommenheit beeinflusst auf unterschiedlichste Weise das Experiment.

Gleiche Informationen können abhängig von der Perspektive des Forschenden unterschiedlich ausgewertet werden, was bei gleichen Daten zu unterschiedlichen Ergebnissen und Schlussfolgerungen führen kann bzw. führt.

Gibt es empirische Aussagen, die absolut wahr sind?

Ist das Konzept auf alles anwendbar und gilt somit im Rückschluss als Beweis für die Erfahrungswirklichkeit? An einem Beispiel: Auch wenn die Schwerkraft als reale Wirkung überall in unserer Welt empirische Gültigkeit besitzt und eine mathematisch beweisbare Grundlage besitzt, ist das empirisch reproduzierbare Ergebnis noch kein Beweis, dass auch außerhalb der Erde die gleichen Bedingungen für Gravitation herrschen.

Häufiges hat somit Ausnahmen (von der Regel). Eine einzige Ausnahme zeigt, dass es so, wie angenommen und bisher erfahren, nicht immer stimmt. Ein Gegenbeispiel reicht also, wie das Popper nachgesagte Beispiel „ein schwarzer Schwan zeigt, dass es nicht nur weiße Schwäne gibt“ besagt.

Verifikation und Falsifikation

Empirische Methodik kann Ergebnisse produzieren, die unter bestimmten Bedingungen zu einem bestimmten Zeitpunkt Gültigkeit haben. Sie sind abhängig von der Anschauung und den Denkstrukturen, mit denen sie gewonnen werden.

Induktive Aussagen können durch Verifikation und Falsifikation sicherer werden, erreichen aber nie den Stellenwert einer absoluten Aussage. Das so gewonnene Wissen bleibt somit stets vorläufig.

Verifikation prüft anhand definierter Kriterien, ob das Ergebnis mit seinen Vorgaben übereinstimmt[2]. Falsifikation versucht durch Widerlegen den Nachweis der Ungültigkeit einer Aussage, Methode, These, Hypothese oder Theorie zu erbringen (s. o.).

Zusammenfassung

Aus epistemologischer Perspektive existiert daher weder eine endgültige Verifikation noch eine endgültige Falsifikation. Beide Instrumente helfen, sich der Wahrheit sukzessive zu nähern. Die daraus gewonnenen Schlussfolgerungen führen zu vorläufigen Modellen der Wirklichkeit.

Empirisch wissenschaftliche Aussagen sind somit relative Näherungen, im Idealfall fügen sie sich asymptotisch an einen Wahrheitswert an.

Eine pragmatische Wahrheitstheorie könnte daher lauten: „Eine Aussage ist solange wahr, wie ihre Anwendung funktioniert.“ Ändert sich das Modell der Wirklichkeit und damit die Bedingungen der Anwendung, muss die Hypothese neu geprüft werden. Erweist sich ein Prüfergebnis als negativ, dürfen diese Theorien nicht durch Ad-hoc-Hypothesen gerettet, sondern sollen verworfen werden.

Diese strenge Methodik der Falsifikation entwickelte Popper in seiner Auseinandersetzung mit dem Logischen Empirismus. Die zentrale Aussage ist, eine Trennung wissenschaftlicher von unwissenschaftlichen Aussagen sei nicht durch die logische Struktur eines aufgestellten Begriffes und seiner Explikation alleine möglich, sondern zeige sich an den Regeln des Umgangs mit den jeweils gültigen Theorien. (Popper, 1971)

Intersubjektivität

Der Begriff Intersubjektivität stammt ursprünglich aus der soziologischen Forschung, besitzt jedoch eine übergeordnete Wichtigkeit.

Intersubjektivität (von lat. inter: zwischen und von Subjekt: Person, Akteur) drückt aus, dass ein (komplexerer) Sachverhalt für mehrere Betrachter gleichermaßen erkennbar und nachvollziehbar sei: Man ist sich beispielsweise darüber einig, wie man etwas wahrnimmt, wie man es einordnet, oder was es bedeutet.

Die Bedeutung der empirisch-soziologischen Forschung zur Intersubjektivität liegt vor allem darin, eine stimmige Erfahrungswirklichkeit zu erlangen, zu vermitteln und beschreibbar zu machen.

Insbesondere erlangt Intersubjektivität dann eine praktische Bedeutung, wenn betont werden soll, dass bestimmte Probleme nur dann angemessen behandelt werden können, wenn Beziehungen zwischen Personen mit ihren jeweiligen Wahrnehmungen und Sichtweisen zugrunde liegen oder gelegt werden (müssen).

Der Begriff Intersubjektivität wird jedoch in verschiedenen Theorien etwas unterschiedlich verwendet und präzisiert, da er in den unterschiedlichsten Disziplinen als wichtiger Terminus verwendet wird. Konzepte zur Intersubjektivität finden sich in Bereichen der Wissenschaftstheorie, der Psychologie und den Sozialwissenschaften. Darüber hinaus auch in der politischen Theorie, der Ethik oder der Diskurstheorie (Konsenstheorie der Wahrheit) und übergeordnet auch in Konzepten zur Philosophie (z. B. Positivismus).

Intersubjektivität ist ebenfalls ein bestimmender Faktor in der Praxis der Medizin, da jede Begegnung zwischen Patienten und Behandler, ob diagnostisch, beratend oder therapeutisch, stets in einem intersubjektiven Raum stattfindet.

Subjektivität und Objektivität

Intersubjektivität ist von Subjektivität folgendermaßen abgrenzbar: „Subjektiv“ definiert, was nur dem einzelnen Individuum zugänglich ist und wofür auch keine Allgemeingültigkeit beansprucht wird.

  • Typische Beispiele sind lediglich durch Introspektion zugängliche Sachverhalte oder Geschmacksurteile („Der Spinat schmeckt mir nicht“).

Intersubjektivität kann auch von der Objektivität unterschieden werden, insoweit objektive Fakten unabhängig von Bedingungen, die mit einzelnen Betrachtern zusammenhängen, beweisbar sind:

  • Typische Beispiele sind mathematische und logische Wahrheiten („1 + 1 = 2“, „Ein Gegenstand kann nicht gleichzeitig eine Eigenschaft haben und sie nicht haben“) sowie Sachverhalte, die in der Außenwelt bestehen, wie z. B. die natürlichen Eigenschaften materieller Gegenstände, die prinzipiell für jeden zweifelsfrei erkennbar sind („Der Rasen ist nass vom Regen“).

Intersubjektivität als erkenntnis- und wissenschaftstheoretisches Merkmal

Epistemologisch können Sachverhalte danach klassifiziert werden, in welchem Ausmaß sie allgemein zugänglich sind. Dadurch können folgende Klassen unterschieden werden:

  • Sachverhalte, die prinzipiell nur aus der Perspektive der ersten Person erkennbar sind oder Geltung haben können. Hierunter fallen z. B. ästhetische oder kulinarische Vorlieben, aber auch persönliche ethische Urteile. Dazu gehören ebenfalls nur introspektiv zugängliche Sachverhalte, wie z. B. Zahnschmerzen oder Gedanken.
  • Sachverhalte, die nur für Personen in bestimmten Kontexten und mit bestimmten Eigenschaften zugänglich sein können, sodass nur diese Personenkreise darin entsprechende Aussagen und Urteile prüfen und für wahr halten können. Hierzu gehören insbesondere religiös-kulturelle oder auch ethische Wahrheitsansprüche.
  • Sachverhalte, die prinzipiell jedem zugänglich sind. Hier können mathematische Wahrheiten und wissenschaftliche Fakten eingeordnet werden.

Die Übergänge zwischen diesen Kategorien können fließend sein, was eindeutige Zuordnungen und Beispiele auch streitbar macht.

Zumindest wird durch die grobe Klassifikation deutlich, in welchem Sinne „Intersubjektivität“ im Kontext wissenschaftstheoretischer Diskussionen als Gütekriterium wissenschaftlicher Erkenntnisse verwendet werden kann. Vereinfacht in der Formel:

Wissenschaften scheinen „intersubjektiv zugängliche“ Wahrheiten zu erfassen.

Intersubjektivität in der Soziologie

In der Soziologie meint Intersubjektivität, dass bestimmte Erfahrungen für mehrere Individuen vergleichbar sind. Diese Vergleichbarkeit ermöglicht es, dass Symbole oder Zeichen - wie zum Beispiel die Worte einer Sprache - für verschiedene Individuen die gleiche (bzw. ähnliche) Bedeutung haben. Intersubjektivität macht somit eine erfolgreiche Kommunikation möglich.

  1. Intersubjektivität ist Kontext abhängig und kann unter verschiedenen Bedingungen im Konkreten auch Probleme und Konfliktpotenziale aufzeigen. Gehören beispielsweise die Akteure eines Geschehens unterschiedlichen sozialen Gruppen an, dann werden aufgrund unterschiedlicher Erfahrungshintergründe denselben Zeichen oder Symbolen andere Bedeutungen zugewiesen, was Konflikte des Missverstehens untereinander erzeugt.
  2. In der qualitativen Forschung bildet das Konzept der Intersubjektivität die Basis zum Verständnis fremdartiger (Sub-)Kulturen. Stattgefundene Ereignisse oder Sachverhalte werden meist andere Bedeutungen zugewiesen als in der Kultur der Forschenden. Es ist demnach entscheidend, einen gewissen Zugang zu dieser anderen Kultur zu haben, ihren Erfahrungs- und Interpretationshorizont zu teilen, um Ereignisse aus Sicht dieser Kultur zu verstehen.

Erst wenn man mögliche Unterschiede in den Bedeutungen von Symbolen oder Zeichen beschreibt, werden die gewonnenen Erkenntnisse sinnvoll und nachvollziehbar und können so objektiver werden.

Für die phänomenologische Soziologie ist der intersubjektive Charakter der miteinander geteilten Lebenswelt von zentraler Bedeutung. Intersubjektivität meint aus dieser Perspektive die Aneignung und Verbreitung von gemeinsam zugänglichen Wahrnehmungs- und Wissensbeständen und dazu gehörenden Praktiken.

Intersubjektivität in der Psychoanalyse

Intersubjektivität ist in der Psychoanalyse eine Konzeptualisierung der psychoanalytischen Beziehungssituation als „dynamisches Feld“, die sich historisch gesehen seit 30 Jahren beständig weiterentwickelt.

In der aktuellen Psychoanalyse wird dies auch als „intersubjektive Wende“ bezeichnet und beschreibt eine schulübergreifende analytische Haltung, bei der die Beziehung zwischen Analytiker und Patient zwar als asymmetrisch (die Verantwortung für den therapeutischen Prozess liegt mehr beim Analytiker) jedoch im Prozess als wechselseitig definiert wird.

Somit wird der analytische Prozess weniger von Deutungen durch ein Subjekt, dem "wissenden Analytiker“ gegenüber einem Objekt, dem „unwissenden Patienten“, bestimmt. Vielmehr bringt er in der Begegnung zweier Subjekte ein intersubjektives Feld hervor, das gemeinsam wahrgenommen, erlebt und schließlich analysiert wird. (Potthoff & Wollnik, 2014)


[1] Wiener Kreis 1924-1936 unter der Leitung von Moritz Schlick

[2] Verifikation (lat. veritas - Wahrheit und facere - machen) beschreibt ein Nachweisverfahren. Ein Beispiel für ein Verifikationskonzept ist die Überprüfung vorgegebener Spezifikationen von Produkten und Dienstleistungen mit ISO 9000 normierten Verfahren, als „Bestätigung durch einen objektiv geprüften Nachweis, dass die gesetzten Anforderungen erfüllt werden“.


Quellen und Referenzen

  • Balog, A., & Schülein, J. A. (2008). Soziologie, eine multiparadigmatische Wissenschaft: Erkenntnisnotwendigkeit oder Übergangsstadium ? VS Verl. für Sozialwissenschaften.
  • Bendel, O. (o. J.). Philosophie. In Gabler Wirtschaftslexikom. Abgerufen 18. Mai 2024, von https://wirtschaftslexikon.gabler.de/
  • Kuhn, T. S. (2017). Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (H. Vetter, Übers.; 1. dt. Auflage 1973, 2. Revidierte dt. Auflage von 1976). Suhrkamp.
  • Popper, K. R. (1971). Logik der Forschung (4. Aufl.). Mohr Siebeck. Kap. 1 S. 3-21.
  • Potthoff, P., & Wollnik, S. (2014). Die Begegnung der Subjekte: Die intersubjektiv-relationale Perspektive in Psychoanalyse und Psychotherapie. Psychosozial-Verlag.
  • Schöttler, P. (2012). Szientismus: Zur Geschichte eines schwierigen Begriffs. NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin, 20(4), 245–269. https://doi.org/10.1007/s00048-012-0078-5
  • Wertfreiheit. (o. J.). In Metzler Lexikon Philosophie. Abgerufen 8. Mai 2025, von https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/wertfreiheit/2217

Verf.: glt | Rev.: gbh | Lekt.: pz | zuletzt geändert 21.05.2025