Das Simile-Prinzip in der Medizin

Das Simile-Prinzip, welches bereits bei der Namensgebung der Homöopathie beschrieben wurde, tauchte in den Schriften Hahnemanns erstmals 1796 auf:

„… Man (…) wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andre, möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande ist, und jene wird geheilet werden; Similia similibus. …“ (Hahnemann, 1796)

In einer modernen Fassung auf der Grundlage eines Reiz-Reaktionsmodells wäre die Formulierung, orientierend am Original:

… Man wähle um eine kurative Reaktion auszulösen, in den zu behandelnden, vorwiegend chronischen Krankheiten dasjenige Arzneimittel aus, welches eine möglichst ähnliche physiologische Reizantwort (Response) hervorrufen kann, wie sie sich anhand der Symptomen-Beschreibung der Störung bzw. in der Krankheit zeigt - similia similibus.

Das homöopathisch-therapeutische Wirkprinzip ist durch die Arzneianwendungen nach dem Simile-Konzept über die letzten 225 Jahre zwar experimentell-empirisch belegt (s.u.), nur erscheint es auf Basis der aktuellen, naturwissenschaftlich geprägten Pharmakologie auf den ersten Blick wenig plausibel.

Der Streit um den Begriff und seine Definition als Ähnlichkeits-Gesetz oder -Regel, -Prinzip bzw. einfach Ähnlichkeitssatz oder -konzept, wird und wurde in Phasen intensiv geführt, ohne eine abschließende wissenschaftliche Bewertung zu erlangen (Jütte, 1997).

Um Missverständnisse endgültig auszuräumen, sei betont, dass mit Prinzip keineswegs ein Naturgesetz gemeint ist, sondern eher eine stringente Systematik beschrieben wird, ein kleinstmöglicher Algorithmus, der zum Erzeugen eines speziellen Effekts erforderlich ist. Infolge der daraus resultierenden Einfachheit lässt sich ein solches systematisches Prinzip oft (auch interdisziplinär) von einem Therapie-System auf ein anderes übertragen.

Für die homöopathische Therapie ist es daher sinnvoll von einem Arzneiverschreibungskonzept zu sprechen, während die übergreifende Idee an sich, wenn sie sich auch in anderen Bereichen der Medizin wiederfindet, als systematisches Prinzip bezeichnet werden kann.

Simile-Prinzip in der Medizin

Beim näheren Hinsehen lassen sich einige Hinweise erkennen, dass zumindest indirekt zahlreiche Bestätigungen für dieses Wirkprinzip in der Praxis der konventionellen Medizin zu finden sind. Sie existieren trotz ihrer Anwendungsbreite eher als zufällige Randerscheinung. Hierzu gehören:

  • Alltagsbeobachtungen, wie z.B. das Abreiben kalter Hände im Winter mit Schnee,
  • ebenso die aktuelle Leitlinienempfehlung leichtere Verbrennungen zur Schmerzlinderung mit Wärme und nicht mit Kälte zu behandeln,
  • der systematisch therapeutische Regulationsanstoß der Hydrotherapie (gleichsinnige thermische Reize),
  • Spezifische Konzepte zu Darmsanierungen,
  • unspezifische Reiztherapien, wie die Eigenblutbehandlungen, z.B. in der Orthopädie, sowie
  • die Gleichstromtherapie (Galvanisation), welche entzündungsähnliche Reaktionen im Gewebe hervorrufen,
  • die Röntgen-Reizbestrahlung und Hautreiztherapien bei chronischen Schmerzen,
  • die ischämische Prä-Postkonditionierung als Therapie in der Kardiologie,
  • immunologische Verfahren, wie die BCG-Implementierung bei Blasen-Carcinom,
  • Impfungen und Autovakzine, die durch modulierte Erreger, teilweise kombiniert mit immunreizenden Zusatzstoffen, eine Immunisierung hervorrufen sollen,
  • immunologische Verfahren wie die Interferon-Fiebertherapie, welche körpereigene Immunreaktionen induziert und verstärkt,
  • Desensibilisierung gegenüber Allergenen
  • Sowie letztlich auch Empathie basierte Verfahren der humanistischen Psychotherapie, wie z.B. das Containing[1], arbeiten ebenfalls auf der Basis des Ähnlichkeitskonzeptes.

Alle diese Verfahren machen sich die gegenregulative Reaktion auf gezielte Reize zu Nutze, um diese als therapeutisch wirksamen Ansatz im Rahmen von Umstimmungstherapien zu nutzen. Hierbei wird das Ähnlichkeitskonzept als Therapieprinzip auf unterschiedliche Weise verwendet.

Das Containing stellt dabei eine direkte kommunikative Anwendung dieses Konzeptes dar.

Rebound Effekte konventioneller Pharmaka

Eine separate Analyse erscheint für die konventionelle Arzneitherapie sinnvoll, in welcher regulative Effekte als Rebound – oder paradoxe Arzneireaktionen beschrieben werden. Diese liefern aus epistemologischer Perspektive ebenfalls einen bestätigenden Hinweis für das Ähnlichkeitsprinzip in der Therapie, wenn auch nicht beabsichtigt.

  • Rebound - Die Umkehrung einer Reaktion auf den Entzug eines Reizes
  • Rebound-Effekt - Die verstärkte Produktion negativer Symptome, wenn die Wirkung eines Medikaments nachgelassen hat oder der Patient nicht mehr auf das Medikament anspricht.
  • Paradoxe Reaktion - Wenn ein Medikament einen Rebound-Effekt hervorruft, kann der Zustand, der mit dem Medikament behandelt wurde, noch stärker zurückkehren, wenn das Medikament abgesetzt wird oder seine Wirkung verliert.

Der Betroffene erleidet dieselben Symptome, von denen er erwartet hatte, dass sie mit der Einnahme von Arzneimitteln verschwinden. Die entgegengesetzte oder konträre Wirkung zu den Krankheitssymptomen und physiologischen Manifestationen zeigen sich oft mit größerer Intensität und/oder Häufigkeit.

Erklärungsmodelle zum Rebound-Effekt

„Insgesamt ist der Rebound-Effekt (paradoxe Reaktion) das Ergebnis der autonomen Versuche des Organismus, zu seinem Grundzustand (Homöostase) zurückzukehren, nachdem dieser durch die primäre Wirkung einer applizierten Droge (Medikament) verändert worden ist.

Da ein Merkmal von Lebewesen ihre Fähigkeit ist, durch autoregulative physiologische Prozesse ein konstantes inneres Milieu aufrechtzuerhalten, sind homöostatische Mechanismen auf allen Ebenen der biologischen Organisation vorhanden, von einfachen Zellmechanismen bis hin zu den komplexesten psychischen Funktionen.“ (Teixeira, 2013, S. 630, Übers. d. Verf.)

Orientierend an den Forschungen von Varela und Maturana wird im Folgenden der Begriff Homöostase durch Homöodynamik ersetzt, welcher die Fähigkeit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen und ein dynamisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten umfassender beschreibt.

Wie in der klinischen und experimentellen Pharmakologie nachgewiesen wurde, weist der Rebound-Effekt daher einige besondere Merkmale auf (Teixeira, 2013):

  • er tritt besonders bei empfänglichen Personen auf (1 /1000),
  • er ist unabhängig von der Art des verwendeten Medikaments oder der Krankheit (Symptome) der Person,
  • er tritt nach teilweisem oder vollständigem Absetzen des Medikaments auf, je nach der individuellen Eigenart,
  • er fördert einen klinischen Zustand, welcher der primären Wirkung des Medikaments entgegengesetzt ist,
  • die Symptome, die er hervorruft, sind intensiver als die vor der Behandlung und
  • das Ausmaß der Wirkung ist proportional zur primären Wirkung des Medikaments.

Klinisch gut dokumentierte Rebound Effekte finden sich bisher zu folgenden Arzneiwirkstoffen: (Hintergrundpapier einfügen)

  • ASS und NSAR
  • Bronchodilatatoren
  • Antidepressiva
  • Statine mit paradoxem Absetzsyndrom
  • Protonen Pumpen Inhibitoren (PPI)
  • Bisphosphonate

Analyse der Organon Paragraphen zum Rebound-Effekt

Auch in Hahnemanns Organon finden sich Hinweise auf Rebound-Effekte zur Begründung des Simile-Konzeptes in den §§ 22-28 sowie § 52, §§ 54-60 (Hahnemann, 2017). Der Zusammenhang war für Hahnemann klinisch offensichtlich evident und wird durch Zitate anderer Quellen belegt (siehe Fußnote zu § 58):

§ 22 Es sind zwei Prinzipien von Arzneiwirkungen zu unterscheiden, entweder werden Arzneien gewählt, die dem Krankheitszustand ähnliche (homöopathische) oder entgegengesetzte (antipathische) Symptome erzeugen können, was durch empirische Belege nachgewiesen werden soll.

§ 23 Entgegengesetzte, antipathische, enantiopathische (grch. gegen das Leiden gerichtet) Verschreibungen, wirken allenfalls palliativ und lindernd. Die Krankheitssymptome werden nicht kurativ beeinflusst, sondern treten nach einiger Zeit, in einem stärkeren Grad, wieder auf.

§24 Es bleibt daher die homöopathische Verordnung, bei der die Gesamtheit aller Symptome des Krankheitsfalles, seinem Entstehungszusammenhang, soweit er bekannt ist, und alle Begleitbeschwerden für die Arzneiwahl herangezogen werden.

§ 25 Empirische Belege zeigen, dass die am meisten homöopathisch gewählte Arznei, basierend auf den Ergebnissen der Arzneiversuche, in potenzierter Form und geringer Menge, kurative Reaktionen auslösen.

§ 26 Das homöopathische Prinzip erfordert, dass der therapeutische Reiz der krankheitserregenden Affektion ähnlich genug und zugleich an Intensität überlegen ist.

§ 27 Die Heilkraft von Arzneien beruht daher auf der Fähigkeit, eine physiologische Umstimmung auszulösen, wenn sie homöopathisch genug auf den gesamten Einzelfall abgestimmt wird und die Arzneikraft stärker ist, als der krankheitsauslösende Reiz selbst.

§ 28 Das homöopathische Prinzip ist empirisch nachweisbar. Eine wissenschaftlich theoretische Erklärung dazu ist von untergeordneter Wichtigkeit, um die empirisch basierten Prämissen herzuleiten und entfällt daher.

Das von Hahnemann propagierte Modell der arzneilich ausgelösten „Kunstkrankheit“ wird in dieser Analyse nicht berücksichtigt. Eine Diskussion dazu findet sich im Abschnitt Hahnemanns Krankheitsmodell (Link).

§ 52 Die homöopathische und allopathische[2] Vorgehensweise basieren auf entgegengesetzten unvereinbaren Prinzipien und lassen sich in einem Krankheitsfall nicht beliebig kombinieren.

§ 54 Das allopathische Behandlungskonzept definiert Krankheiten einheitlich und arbeitet demzufolge mit therapeutischen Schemata, welche dem Einzelfall übergeordnet werden. Grundlage dafür sind die jeweilig bestimmenden theoretischen Vorgaben zur Krankheitserkenntnis, welche folgerichtig zu unterschiedlichen Klassifikationen von Krankheitsentitäten führen und sich eher weniger auf empirische Daten stützen.

§ 55 Die primäre Wirkung der allopathischen Therapie ist palliativ, was unmittelbare Linderung und symptomatische Erleichterung verschafft.

§ 56 Die antipathische Methodik basiert auf Galens Lehre Entgegengesetztes mit Entgegengesetzem zu begegnen. Die ausgelösten Linderungen sind jedoch nur palliativ. Gerade bei chronischen, nicht sehr schnell verlaufenden, Krankheiten führen sie nur zu episodisch vorgetäuschten Verbesserungen, da sie lediglich auf einen Teil der Symptomatik ausgerichtet sind.

§ 57 Die Vorgehensweise, auf einen Teil der Symptomatik eine lindernde Arznei oder Maßnahme zu verordnen, basiert stets auf der Tatsache, dass für diese spezielle Symptomatik eine palliative Wirkung nach dem contraria contrariis Prinzip bekannt ist. Alle anderen Symptome des Falles werden dabei nicht berücksichtigt. Hahnemann benennt mehrere Beispiele zur Illustration dieses Vorgehens:

  • Opiate für starke Schmerzen
  • Abführmittel bei Obstipation
  • Kälte als Sofortmaßnahme bei Verbrennungen
  • Warme Bäder bei Frostigkeit
  • Stimulantien bei Schwächezuständen

§ 58 Die allopathische Arzneianwendung ist rein symptomatisch und zielt nicht auf die Behandlung der zugrunde liegenden langwierigen Störung oder Krankheit. Es kommt daher bei solchen Anwendungen nach Phasen der symptomatischen Besserung meist zur Aggravation der gesamten Krankheit, was als Malignität des Geschehens oder als neue Krankheit gedeutet wird.

§ 59 Hahnemann nennt viele Beispiele für Rebound-Effekte in unterschiedlichen Therapiesituationen:

  • Kaffee gegen Tagesmüdigkeit, erst Vigilanz-Steigerung dann stärkere Erschöpfung und Schläfrigkeit
  • Opiate bei Schlaflosigkeit, erst Betäubung mit Bewusstseinsverlust, gefolgt von Erregung und Schlaflosigkeit in den anschließenden Nächten
  • Opiate bei infektiöser Diarrhoe, welche zum Sistieren durch Darmlähmung führen, gefolgt von vermehrtem Durchfall
  • Opiate bei infektiösem Reizhusten, der zu fiebrigen Zuständen und Schweißausbrüchen in der Gegenregulation führt
  • Canthariden-Tinktur zur Blasenreizung bei Harnverhaltung, was die Entleerung erzwingt und anschließend die Harnverhaltung verstärkt
  • Der Circulus vitiosus von Abführmitteln bei Obstipation, je mehr Verstopfung umso mehr Abführmittel, was zu mehr Verstopfung führt
  • Stimulantien bei Schwächezuständen, welche nach kurzer Vigilanz-Steigerung zu mehr Müdigkeit und Erschöpfung führen
  • Bitterstoffe und reizende Gewürze bei atrophischer Gastritis, was die Magenmotilität letztlich vermindert
  • Frostigkeit durch warme Bäder, die erst erwärmen und in der Gegenregulation mehr Kälteempfindlichkeit und Frieren nach sich ziehen
  • Kälte bei Verbrennungen, welche zunächst den Schmerz lindern, in der Gegenregulation die Entzündung verstärken und damit den Gewebeschaden vergrößern
  • Chronische Nasenschleimhautschwellungen, die durch schleimhautreizende Präparate behandelt werden, führen nach anfänglicher Sekretion zu vermehrter Schleimhautschwellung und Nasenverstopfung
  • Hochdosierte elektrische Reizung gelähmter Extremitäten, welche zu vermehrtem Untergang von Muskelgewebe, mit Zunahme des Lähmungsbildes, führt
  • Aderlass als Maßnahme gegen Kongestion und Palpitation, was in der Gegenregulation diese Symptome vermehrt
  • Große Dosen Baldrian bei typhösen Zuständen, welche letztlich die vollkommene Erschöpfung erhöhen und gerade bei den so behandelten Patienten die Mortalitätsrate eher steigern
  • Digitalis bei Vorhofflimmern, was bei nachlassender Wirkung und unvorsichtig gesteigerten Dosierungen zu Schwäche und Tod führt

§ 60 Zusammenfassend führt der antipathische Gebrauch von Arzneien zu verstärkten Gegenregulationen mit Zunahme der Symptomatik, welcher regelhaft mit einer Dosiserhöhung begegnet wird. Der palliative Effekt lässt jedoch im Laufe der Zeit immer weiter nach und die gesamte Krankheitssituation verschlimmert sich durch Zunahme derselben Beschwerde oder Auftreten anderer neuer und schwerer wiegender Symptomatik. Eine Heilung des ursprünglichen Zustandes wird so nicht erreicht.

Auch wenn Hahnemanns Beispiele heutzutage an einigen Stellen als überholt gelten oder durch bessere Dosierung weit weniger gefährlich sind, zeigen sie den Denkstil und die Konsequenzen in der Vorgehensweise bei paradoxen Arzneireaktionen eindrücklich auf.

Aus epistemologischer Perspektive kommt es genau darauf an, dass Rebound-Effekte eine regulative physiologische Grundlage haben und damit einen indirekten Nachweis für das Similie-Prinzip darstellen. Unabhängig von der Art der Maßnahmen über die Jahrhunderte hinweg, sind sie scheinbar zeitlos gültig, wie im Vergleich zu heutigen, konventionell medizinischen Therapieansätzen deutlich wird.

Literaturanalyse homöopathischer Arzneiwirkungen

Eine weitere Analyse der Arzneiwirkung nach dem Ähnlichkeitskonzept kann durch eine direkte Überprüfung der homöopathischen Arzneiwirkungshypothesen erfolgen. Ein eingehender Literaturvergleich der Angaben Hahnemanns mit Grundlagenwerken der modernen Toxikologie und Pharmakotherapie von 56 Pflanzen wurde im Rahmen einer Dissertation vorgenommen (Boucsein, 1992). Die Aussagen sind geordnet in Krankheits- bzw. Symptomgruppen in Anlehnung an den ICD-10, gesucht wurden:

  • Übereinstimmende Aussagen zwischen Hahnemann und heute
  • Widersprüchliche Aussagen
  • Aussagen von Hahnemann ohne Korrelationen zur Referenzliteratur

Verglichen wurden Vergiftungssymptome (hohe Dosen) und therapeutische Indikationen mit hohen und niedrigen Dosierungen. Dabei wurde folgende Definition als Ausgangspunkt getroffen:

„Erzeugt eine Pflanze in hoher Dosis ein Vergiftungssyndrom, das den Symptomen entspricht, die sie in niedrigen (therapeutischen) Dosen bekämpft, so ist der therapeutische Einsatz der Pflanze gegen ein entsprechendes Symptom per definitionem ein Einsatz nach dem Ähnlichkeitsprinzip (...).

Bekämpft dagegen eine Pflanze durch gegenteilige Wirkung ein Symptom, und behält die gegenteilige Wirkung auch in höheren, toxischen Dosen bei, so ist dies ein Einsatz nach dem Gegensatzprinzip [Antagonismus -Prinzip; Anm. d. Verf.]. (Boucsein, 1992, S. 591)

RESULTAT: „Etwa 2/3 der Wirkungen der besprochenen Pflanzen wurden von Hahnemann richtig beschrieben, 1/3 der Angaben lässt sich nicht mit der modernen Literatur korrelieren, und 4,5% seiner Beobachtungen beruhen offenbar auf Fehlbeobachtungen.“ (Boucsein, 1992, S. 581) Richtig vorhergesagte Indikationen finden sich bei Hahnemann zu 30,7%, eine fehlende Zuordnung liegt in knapp 68% vor, und der Anteil falscher Aussagen liegt bei 1,14%. (Boucsein, 1992, S. 585)

Die Unterschiede bei den nicht korrelierenden Symptome sind darauf zurückzuführen, dass sich moderne Autoren auf eine isolierte Beschreibung akuter Intoxikationen beziehen, und nicht auf eine vollständige Liste aller individuellen Erscheinungen, welche auch noch Tage nach der Vergiftung auftreten, die jedoch für die homöopathische Materia Medica charakteristisch sind. (Boucsein, 1992, S. 582 f.)

GESAMTERGEBNIS DER ANALYSE: Auch nach modernen toxikologisch-pharmakologischen Kriterien sind die nach dem Ähnlichkeitsprinzip aufgestellten Postulate Hahnemanns statistisch signifikant.

DISKUSSION: Es stellte sich heraus, dass fast die Hälfte der schulmedizinischen – konventionellen Indikationen“ der untersuchten Pflanzen homöopathisch im eigentlichen Sinn des Wortes sind, „denn sie sind nur auf dem Hintergrund eines Einsatzes im Sinne des Ähnlichkeitsprinzips verständlich. Konkret heißt das, dass z.B. eine Pflanze die in hohen Dosen Durchfall erzeugt, therapeutisch gegen Durchfall eingesetzt wird. Und dies nicht in dem Rahmen, der der „Außenseitermethode“ Homöopathie gesteckt ist, sondern seit Jahrzehnten anerkannt im Rahmen „Schulmedizin“ [konventionelle Medizin; Anm. d. Verf.].“ (Boucsein, 1992, S. 591 f.)

ZUSAMMENFASSUNG: Hieraus ergeben sich aus der der Arbeit mehrere, folgerichtig abgeleitete Schlussfolgerungen:

Hahnemann kann zeitlos als sehr guter klinischer Beobachter gelten, nur 4,5% seiner Angaben basieren auf Fehlbeobachtungen. Das Ähnlichkeitsprinzip als Verschreibungskonzept scheint reale Bedeutung zu besitzen, was sich wie folgt begründen lässt [3] (Boucsein, 1992, S. 591 f.):

  1. Etwa ein Drittel der Angaben Hahnemanns stimmen mit aktuellen therapeutischen Angaben überein, was als signifikant bezeichnet werden kann.
  2. Hahnemann konnte aus dem Ähnlichkeitskonzept in 23-31% der Beobachtungen Vorhersagen, noch unbekannter therapeutischer Verwendungsmöglichkeiten von Heilpflanzen, richtig ableiten.
  3. Die Analyse von Intoxikationssymptomen und Therapieindikationen von verschiedenen Heilpflanzen aus aktuellen Publikationen bestätigt, dass etwa die Hälfte der konventionellen Indikationen auf dem homöopathischen Prinzip beruhen.

Die hohe Rate richtiger Vorhersagen aus den homöopathischen Arzneiversuchsanordnungen kann bei der Bandbreite spezifischer und stimmiger Indikationen nicht einfach als Zufallsreaktion abgetan werden. Hahnemanns Vorschlag, eine auf dem Ähnlichkeitskonzept basierende Ableitung therapeutischer Indikationen aus dem Vergiftungsbild vorzunehmen, könnte durch breit angelegte Arzneiversuche zur Erweiterung des pharmakologischen Wissens um Arzneiwirkungen noch unbekannter Heilpflanzen, dienen.

Grundlagenforschung zum Ähnlichkeitsprinzip

Es existiert eine, wenn auch noch bescheidene Grundlagenforschung zum Ähnlichkeitsprinzip. Diese liefert überraschende Ergebnisse, welche eine weitergehende und umfassendere Forschung lohnend erscheinen lassen. Die eindrücklichsten Ergebnisse der präklinischen Forschung hierzu lieferte bisher eine holländische Arbeitsgruppe.

In mehreren Arbeiten von 1997 bis 2009 wurden in einem zellulären Modellsystem die Reaktionen von Stressproteinen unter verschiedenen Bedingungen untersucht. In diesen Untersuchungen wurden Zellverbände mit einem Hitzeschock (HS) gestresst. Die Nachbehandlung mit geringen Dosen einer Reihe verschiedener Stressoren ergab eine umso höhere Überlebensrate der geschädigten Zellen, je mehr die Reaktion auf die jeweiligen sekundären Stressoren, dem beim vorhergehenden Hitzeschock gebildeten Spektrum an gebildeten Schutzproteinen (HSP), entsprach. (F. Wiegant & Van Wijk, 2010)

Die Forschung zur Hormesis[4] der gleichen Arbeitsgruppe zeigt ebenfalls an Zellkulturen, dass niedrig dosierte Stressoren, welche vor oder nach einer schädlichen höheren Dosis desselben Stressors verabreicht wurden, die schädlichen Wirkungen nachfolgender toxischer Dosen vermindern (Van Wijk & Wiegant, 2010). Die Ergebnisse wurden zuletzt 2011 zusammengefasst (F. A. C. Wiegant et al., 2011).

In der Summe stützen diese Untersuchungen auf zellulärer Ebene das Simile-Prinzip und tragen zum Verständnis der Art und Weise bei, wie Stressbedingungen mit niedriger Dosis, die der Selbstheilung zugrunde liegenden Regulationsprozesse beeinflussen.

Darüber hinaus wird das Phänomen der "Symptom-Verstärkung", das ebenfalls auf zellulärer Ebene zu beobachten ist, im Zusammenhang mit der Selbstheilung im Sinne einer Postconditioning Hormesis diskutiert. Die Daten stützen die Hypothese, dass geringe Dosen toxischer Verbindungen unter bestimmten Bedingungen vorteilhafte Wirkungen im Zusammenhang mit der Stimulation endogener zytoprotektiver Mechanismen haben können.

Zusammenfassung

Die genannten Alltagsbeispiele, die Anwendungspraxis aus der Naturheilkunde und der konventionellen Biomedizin einschließlich der Psychotherapie, die Forschung zu pharmakologischen Rebound-Effekten, die Analyse der homöopathischen Arzneiwirkungshypothesen und deren Einsatz im Praxisalltag sowie erste Ergebnisse der Grundlagenforschung zeigen auf, dass das Simile-Prinzip kein medizinfremder Sonderling überholter Vorstellungen des 19. Jahrhunderts darstellt. Vielmehr handelt es sich um einen bedeutenden Denkansatz regulativer Therapien.

Die besondere Stellung der Homöopathie, kann als konsequent differenzierte und systematische Anwendung dieses Konzeptes in der Verordnung von Arzneien mit einem, seit 220 Jahren anwachsenden empirisch ermittelten Erfahrungshintergrund zu verifizierten Arzneireaktionen, verstanden werden.

Pragmatisch gesehen, ist der Stellenwert des Simile-Prinzips in der Homöopathie als therapeutisches Konzept zur Arznei-Verschreibung genau das, was die Anwendungspraxis in der Homöopathie epistemologisch sinngebend beschreibt und begründet.

Eine Diskussion, die seit über 200 Jahren geführt wurde und wird, ob es sich um eine Regel, ein Prinzip oder ein Gesetz handle, implementiert einen unnötigen paradigmatischen Streit, der für das Verständnis, wie dargelegt, im Grunde obsolet ist.


[1] In der Psychologie bezeichnet Containment jenen Vorgang, in dem eine Person (Container) die Emotionen oder Affekte einer anderen Person (Containend) aufnehmen, verarbeiten und auf eine Weise zurückgeben kann, die für den Containend erträglich ist. Das Konzept des Containments wurde ursprünglich von dem britischen Psychoanalytiker Wilfred R. Bion (2001) entwickelt, nach dem Containment eine grundlegende Funktion der Mutter-Kind-Beziehung darstellt, denn diese nimmt die Gefühle ihres Kindes auf, ohne sich von ihnen überwältigen zu lassen, verarbeitet sie dann innerlich und gibt sie dem Kind in einer Weise zurück, die es verstehen und bewältigen kann.“ (Stangl, 2025; Online: https://lexikon.stangl.eu/37074/containment)

[2] Allopathie: dem Leiden entgegengesetzte Therapieprinzipien, z.B. Fiebersenker bei Temperaturanstieg

[3] Da der Begriff Schulmedizin in alternativmedizinischen Diskussionen oft abwertend benutzt wird, sollte besser der Terminus konventionelle Medizin Verwendung finden. Anm. d. Verf.].“

[4] Hormesis beschreibt eine mehrphasige Dosis-Wirkungs-Beziehung. Geringe Dosen eines Stressors wirken stimulierend, während höhere Dosen entweder hemmende oder toxische Auswirkungen haben.



Quellen und Referenzen

  • Boucsein, H.-U. (1992). Die Begründung des Ähnlichkeitsprinzips durch Hahnemann aus heutiger Sicht: Aussagen aus Samuel Hahnemanns „Versuch über ein neues Princip ...“ (1796) im Vergleich mit modernen Autoren und ein Versuch der Überprüfung des Ähnlichkeitsprinzips. Königshausen und Neumann.
  • Hahnemann, S. (1796). Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen. Hufelands Journal der practischen Arzneykunde, 2, 391–439.
  • Hahnemann, S. (2017). Organon der Heilkunst (6. Aufl.). Hahnemann Institut für homöopathische Dokumentation. https://archive.org/details/organon-der-heilkunst
  • Jütte, R. (1997). 200 Jahre Simile-Prinzip: Magie, Medizin, Metapher. Allgemeine Homöopathische Zeitung, 242(01), 3–16. https://doi.org/10.1055/s-2006-936588
  • Stangl, W. (2025). Containment. In Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. https://lexikon.stangl.eu/37074/containment
  • Teixeira, M. Z. (2013). Rebound effects of modern drugs: Serious adverse events unknown by health professionals. Revista Da Associação Médica Brasileira (English Edition), 59(6), 629–638. https://doi.org/10.1016/S2255-4823(13)70530-7
  • Van Wijk, R., & Wiegant, F. (2010). Postconditioning hormesis and the homeopathic Similia principle: Molecular aspects. Human & Experimental Toxicology, 29(7), 561–565. https://doi.org/10.1177/0960327110369860
  • Wiegant, F. A. C., Prins, H. A. B., & Van Wijk, R. (2011). Postconditioning Hormesis Put in Perspective: An Overview of Experimental and Clinical Studies. Dose-Response, 9(2), https://doi.org/10.2203/dose-response.10-004.Wiegant
  • Wiegant, F., & Van Wijk, R. (2010). The similia principle: Results obtained in a cellular model system. Homeopathy, 99(1), 3–14. https://doi.org/10.1016/j.homp.2009.10.002

Verf.: glt | Rev.: gbh, mnr, sfm, smi | Lekt.: pz | zuletzt geändert 10.04.2025