Modelle und Wirkhypothesen potenzierter Arzneien

Mit der Anwendung homöopathischer Arzneien ist die Beobachtung aus Arzneiversuchsreihen und klinischen Erfahrungen verknüpft, dass potenzierte Arzneien paradoxerweise mit steigender Potenz deutlich mehr und differenziertere Reaktionen auslösen, als dies mit der Ursubstanz (Ausgangssubstanz) gelingt. Auch inerte Substanzen können durch diese Art der Aufbereitung zu Wirkstoffen werden (Bsp. Lycopodium clavatum oder Natrium muriaticum).

Dieses Phänomen wird in der klinischen Praxis seit über zwei Jahrhunderten dokumentiert und bildet die Grundlage für die therapeutische Anwendung der Homöopathie (Hahnemann, 1810).

Dieser scheinbare Widerspruch passt nicht so einfach in das kausale Denken eines cartesianisch geprägten Weltbildes und stellt einen besonderen Zankapfel um die Homöopathie dar, der historisch von Beginn an die Gemüter erhitzt. Genau hier setzt das Argument „nix drin – nix dran“ auf, welches sich auf dieses von Hahnemann beschriebene Herstellungsverfahren der Arzneien bezieht.

Eine solche These basiert auf dem Argument einer rein biochemischen Arzneiwirkung als einzig anzunehmendem biologischem Wirkmechanismus, welcher nicht mehr möglich sei, wenn rechnerisch ab der vierundzwanzigsten D-Potenz kein materiell-substanzieller Inhalt mehr in der Präparation vorhanden sein könne[1]. Die daraus abgeleitete Schlussfolgerung besagt, dass es sich bei der Wirkung homöopathischer Potenzen mit einem Verdünnungsverhältnis über 10⁻²³ – einem kritischen Scheitelwert von Verdünnung – somit um reine Wasserlösungen und folglich therapeutisch um Placeboeffekte handeln müsse.

Historischer Kontext und wissenschaftliche Kontroverse

Die Kontroverse um die Homöopathie ist nicht nur wissenschaftlich, sondern auch philosophisch geprägt. Sie spiegelt die Spannung zwischen einem mechanistischen Weltbild wider, das auf messbaren Substanzen basiert und einem holistischen Ansatz, der komplexe Wechselwirkungen und systemische Effekte berücksichtigt. Die Homöopathie sollte nicht isoliert gesehen werden, sondern muss vielmehr als integraler Bestandteil eines umfassenderen Paradigmas der Systembiologie verstanden werden, das Wechselwirkungen auf molekularer, zellulärer und organismischer Ebene untersucht. Diese Sichtweise erlaubt es, die Wirkung potenzierter Arzneien jenseits der klassischen Pharmakologie zu analysieren und zu verstehen.

Bildung von Suprastrukturen in potenzierten Lösungen

Wie die neuere physikalische Forschung des 21. Jahrhunderts aufzeigt, finden sich in sogenannten Ultra-High-Dilution viele Veränderungen, die erst im Nanometerbereich (ab 10⁻⁹ = 1 Milliardstel Meter) entdeckt werden können und scheinbar in intensiver Wechselwirkung miteinander stehen. Die Forschung hierzu konnte erst mit Entwicklung der Multi-Dimensions-NMR[2] als eine bedeutende Analysetechnik beginnen. Die Kernspinresonanz-Spektroskopie liefert differenzierte Informationen von Molekülen in Lösung. Von besonderer Bedeutung ist die Möglichkeit, detaillierte Informationen über die Moleküldynamik mithilfe von Relaxationsparametern zu gewinnen (The Nobel Foundation, 2002, Nobelpreis K. Wüthrich).

Ein umfassendes Review über NMR-Messungen an potenzierten Arzneimittellösungen konnte erweiterte Arbeitshypothesen für viele Effekte hochpotenzierter Arzneien prüfen und bestätigen (Demangeat, 2018).

In potenzierten Lösungen sind Partikel der Ausgangssubstanz auch jenseits der Avogadro-Grenze nachweisbar. Ihre Anzahl nähert sich mit steigender Potenzierung asymptotisch der Nulllinie an.

Zudem scheinen sich im Potenzierungsprozess Suprastrukturen zu bilden, die frühestens bei höheren Potenzen mit einem Verdünnungsverhältnis im Bereich von 10⁻⁶ bis 10⁻⁸ in größeren Mengen entstehen und in zunehmender Signifikanz mit weiter steigender Potenz nachweisbar werden.

Diese bilden sich vermutlich durch die mechanische Krafteinwirkung der Verwirbelung über die Konfiguration von Nano-Bubbles mit Strukturen der Lösung, z. B. mit Silikaten aus der Wasseralkohollösung um einzelne Moleküle der Ausgangssubstanz. Dabei handelt es sich um eine inter- und intramolekulare Selbstorganisation (Self-Assembly Concept - SAC) (Grzelczak et al., 2010).

Die Organisation und das zunehmende Anwachsen der entstehenden Suprastrukturen sowie der molekulare Transfer der eingeschlossenen Ausgangssubstanz geschieht dabei schrittweise, während die Lösung potenziert wird.

Weitere physikalische Evidenz und Messmethoden

Zusätzlich zur NMR-Spektroskopie liefern auch andere moderne Analysetechniken Hinweise auf die Existenz von Suprastrukturen in hochpotenzierten Lösungen. Beispielsweise zeigen Untersuchungen mit Raman-Spektroskopie Veränderungen in den Wasserstoffbrückenbindungen von Wasser in potenzierten Lösungen, die auf eine veränderte Wasserstruktur hinweisen (Rao et al., 2007). Diese Veränderungen könnten die Grundlage für die Stabilität der Suprastrukturen bilden.

Weiterhin haben Studien mit dynamischer Lichtstreuung (DLS) gezeigt, dass in potenzierten Lösungen Nanopartikel mit Größen im Bereich von 1–100 nm nachweisbar sind, selbst bei Verdünnungen jenseits der Avogadro-Grenze (Chikramane et al., 2010). Diese Nanopartikel könnten als Träger der spezifischen Information der Ausgangssubstanz fungieren.

Die Rolle der mechanischen Verwirbelung im Potenzierungsprozess wird durch die Arbeiten von Elia et al. (2008 und 2014) weiter untermauert. Sie zeigen, dass die energetische Einwirkung während der Potenzierung thermodynamische Eigenschaften der Lösung verändert, wie z. B. die spezifische Wärmekapazität und die elektrische Leitfähigkeit. Diese Veränderungen deuten darauf hin, dass der Potenzierungsprozess nicht nur eine Verdünnung, sondern eine aktive physikalische Umstrukturierung der Lösung bewirkt.

Biologische Wirkhypothesen

Es geht bei der Potenzierung somit nicht um das Herauslösen chemischer Bestandteile durch Ausdünnen, bis nichts chemisch Messbares mehr enthalten ist, sondern um die Entstehung spezifischer Suprastrukturen im Potenzierungsprozess und deren möglichen Wirkungen. Die biologische Wirkung ist derzeit noch nicht ausreichend geklärt, es wird bisher eine Dualität von Wirkprinzipien propagiert (Demangeat, 2018):

  • Ausgangssubstanzen und deren niedrige Potenzen (mit einem Verdünnungsverhältnis kleiner als 10⁻⁶) binden an spezifischen Liganden-Rezeptoren.
  • Hohe Potenzen interagieren abhängig von ihrer Potenzierungsstufe über Nanopartikel von 1–2 nm (Verdünnungsverhältnis 10⁻⁹) bis Hunderte nm mit unterschiedlichen zellulären Zielstrukturen, die von der individuellen Nanostruktur abhängen.
  • Inverse Effekte, die in Potenzierungen mit einem Verdünnungsspektrum 10⁻³ bis 10⁻⁶ auftreten, korrespondieren mit dem Übergang zwischen Substanz und Suprastruktur.

Daraus folgt, dass die Anzahl der Potenzierungsschritte der bestimmende Faktor für die biologische Aktivität darstellt und nicht die reine Verdünnung.

Molekulare und zelluläre Wirkmechanismen

Die Hypothese der Suprastrukturen wird durch experimentelle Studien gestützt, die biologische Effekte von hochpotenzierten Lösungen untersuchen. So konnten Marzotto et al. (2014) und Bigagli et al. (2016) zeigen, dass hochpotenzierte Arzneien in Zellkulturen spezifische Genexpressionsmuster auslösen, die sich von denen reiner Wasserlösungen unterscheiden. Diese Effekte könnten durch die Interaktion von Nanostrukturen mit zellulären Signalwegen erklärt werden, insbesondere durch die Aktivierung von Stressreaktionswegen, die mit dem Konzept der Hormesis übereinstimmen (Bell et al., 2013). Hormesis beschreibt die stimulierende Wirkung geringer Dosen einer Substanz, die in höheren Dosen hemmend oder toxisch wäre. Inwieweit Phänomene der Hormesis bedeutsam für die Wirkung potenzierter Arzneien sind, ist, auch wenn es naheliegend erscheint, vom Forschungsstand noch offen (Calabrese & Baldwin, 2002).

Darüber hinaus deuten Studien darauf hin, dass die Suprastrukturen in potenzierten Lösungen möglicherweise epigenetische Veränderungen hervorrufen können. Marzotto et al. (2014) fanden Hinweise darauf, dass hochpotenzierte Arzneien die Expression von Genen beeinflussen, die an der Regulation von Entzündungsprozessen beteiligt sind. Dies könnte erklären, warum hochpotenzierte Mittel in der klinischen Praxis oft differenziertere und nachhaltigere Wirkungen zeigen.

Verbindung zur Nanomedizin

Die Parallelen zwischen den Suprastrukturen in potenzierten Lösungen und den Prinzipien der Nanotechnologie in der Medizin werden zunehmend offensichtlich. In der Nanomedizin werden Nanopartikel gezielt eingesetzt, um Wirkstoffe an spezifische Zelltypen zu transportieren oder Signalwege zu modulieren (Farokhzad & Langer, 2009).

Die in potenzierten Lösungen nachgewiesenen Nanopartikel könnten ähnliche Funktionen erfüllen, indem sie als Träger spezifischer physikalischer oder chemischer Informationen dienen. Dies unterstützt die These, dass Homöopathie als eine Form der Mikro- oder Nanodosierung betrachtet werden kann, die mit den Prinzipien der Nanomedizin kompatibel ist.

Schlussfolgerung und Ausblick

Inwieweit die vorgeschlagenen Modelle genügen, um alle auftretenden Phänomene potenzierter Lösungen zu erklären, ist noch offen. Unabhängig davon handelt es sich um jahrzehntelange Beobachtungen in Wissenschaft und Praxis, welche für viele beobachtbare Phänomene der Dosierung und den Erfahrungen im Umgang mit Hochpotenzen ein logisches Erklärungsmodell anbieten.

Dazu gehören folgende Beobachtungen:

  • Niedrige Potenzen wirken eher unspezifisch.
  • Hohe Potenzen erzeugen mehr und differenzierte Arzneireaktionen.
  • Ihre Wirkung kann intensiver und nachhaltiger sein, weshalb sie weniger oft gegeben werden müssen.

Die mit Potenzierung zunehmenden Suprastrukturen könnten auch die biologischen Konzepte der Hormesis bestätigen, welche eine allgemeine Basis aller Reiz-Regulationstherapien bilden. Werden diese Ergebnisse weiter bestätigt und gefestigt, kann Homöopathie als Mikro-/Nano-dosierte Pharmakologie verstanden werden. Homöopathie wäre damit Teil der aktuell entstehenden Palette der Nanomedizin.

Bedeutung für Forschung und Praxis

Die bisherigen Erkenntnisse legen nahe, dass die Homöopathie von einer interdisziplinären Forschung profitiert, die Physik, Chemie und Biologie vereint. Zukünftige Studien könnten sich auf die Charakterisierung der Suprastrukturen konzentrieren, etwa durch die Kombination von NMR, Raman-Spektroskopie und hochauflösender Elektronenmikroskopie, um die genaue Zusammensetzung und Dynamik der Nanopartikel zu bestimmen.

Klinische Studien, die die spezifischen Wirkungen hochpotenzierter Arzneien untersuchen, könnten zudem standardisierte Protokolle entwickeln, um die Reproduzierbarkeit der Effekte zu verbessern.

„Diese Erkenntnisse bilden eine interessante Ausgangsposition für weitere Forschung. Sie zu ignorieren oder, wie es vereinzelt in Anti-Homöopathie Kampagnen geschieht, lächerlich zu machen, wäre vergleichbar mit der Weigerung, einen Kompass als Navigationsinstrument anzuerkennen, der zwar seit dem 11.–12. Jahrhundert Anwendung findet, jedoch erst mit der Beschreibung des Erdmagnetismus im 16. Jahrhundert, also rund 400 Jahre später erklärbar wurde.“ (Bergholz, 2022)

Appell an die wissenschaftliche Offenheit

Die Geschichte der Wissenschaft zeigt, dass paradigmenverändernde Entdeckungen oft zunächst auf Skepsis stoßen. Die Erforschung der Homöopathie erfordert daher eine offene und zugleich kritische Haltung, die neue Methoden und Hypothesen zulässt, ohne vorschnell auf etablierte Modelle zurückzugreifen. Die Integration der Homöopathie in die moderne Medizin könnte nicht nur das Verständnis von Nanostrukturen und deren biologischen Wirkungen erweitern, sondern auch neue Ansätze für personalisierte Therapien eröffnen.


[1] Der Wissenschaftler Amedeo Avogadro stellte im 19. Jahrhundert die Hypothese auf, dass in gleichen Volumina idealer Gase unter gleichen Bedingungen (Druck und Temperatur) die gleiche Anzahl an Teilchen enthalten sei. Die genaue Teilchendichte bei Normalbedingungen wurde später durch Johann Josef Loschmidt erstmals abgeschätzt (Loschmidt-Zahl). Die Teilchenanzahl (z. B. Atome oder Moleküle) in einem Mol einer Ausgangssubstanz - die sogenannte Avogadro-Konstante - wurde später experimentell bestimmt und beträgt ca. 6 x 1023 Teilchen pro Mol. Bei den Potenzen D24 oder C12, die einem Verdünnungsverhältnis von 1:10²⁴ entsprechen, liegt die Teilchenkonzentration jenseits der Avogadro-Grenze.

[2] Kernresonanzspektroskopie (engl. Nuclear magnetic resonance – NMR): Analytisches Verfahren, basierend auf der Wechselwirkung magnetisch aktiver Atomkerne mit elektromagnetischer Strahlung. Mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie kann die Struktur von Molekülen und deren Wechselwirkung z.B. in Lösungen oder Geweben untersucht werden.


Quellen und Referenzen

  • Bell, I. R., Koithan, M., & Brooks, A. J. (2013). Testing the nanoparticle-allostatic cross-adaptation-sensitization model for homeopathic remedy effects. Homeopathy, 102(1), 66–81. https://doi.org/10.1016/j.homp.2012.10.005
  • Bergholz, W. (2022). Physikalische Beispiele.
  • Bigagli, E., Luceri, C., Dei, A., Bernardini, S., & Dolara, P. (2016). Effects of Extreme Dilutions of Apis mellifica Preparations on Gene Expression Profiles of Human Cells. Dose-Response, 14(1), 1559325815626685. https://doi.org/10.1177/1559325815626685
  • Calabrese, E. J., & Baldwin, L. A. (2002). Defining hormesis. Human & Experimental Toxicology, 21(2), 91–97. https://doi.org/10.1191/0960327102ht217oa
  • Chikramane, P. S., Suresh, A. K., Bellare, J. R., & Kane, S. G. (2010). Extreme homeopathic dilutions retain starting materials: A nanoparticulate perspective. Homeopathy, 99(4), 231–242. https://doi.org/10.1016/j.homp.2010.05.006
  • Demangeat, J. L. (2018). Towards a Rational Insight into the Paradox of Homeopathy. Advances in Complementary & Alternative Medicine, 2(2). https://doi.org/10.31031/ACAM.2018.02.000534
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  • Elia, V., Ausanio, G., Gentile, F., Germano, R., Napoli, E., & Niccoli, M. (2014). Experimental evidence of stable water nanostructures in extremely dilute solutions, at standard pressure and temperature. Homeopathy, 103(1), 44–50. https://doi.org/10.1016/j.homp.2013.08.004
  • Elia, V., Elia, L., Marchettini, N., Napoli, E., Niccoli, M., & Tiezzi, E. (2008). Physico-chemical properties of aqueous extremely diluted solutions in relation to ageing. Journal of Thermal Analysis and Calorimetry, 93(3), 1003–1011. https://doi.org/10.1007/s10973-007-8843-8
  • Farokhzad, O. C., & Langer, R. (2009). Impact of Nanotechnology on Drug Delivery. ACS Nano, 3(1), 16–20. https://doi.org/10.1021/nn900002m
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  • Hahnemann, S. (1810). Organon der Heilkunst (6. Aufl.). Arnoldische Buchhandlung.
  • Marzotto, M., Olioso, D., Brizzi, M., Tononi, P., Cristofoletti, M., & Bellavite, P. (2014). Extreme sensitivity of gene expression in human SH-SY5Y neurocytes to ultra-low doses of Gelsemium sempervirens. BMC Complementary and Alternative Medicine, 14(1), 104. https://doi.org/10.1186/1472-6882-14-104
  • Rao, M. L., Roy, R., Bell, I. R., & Hoover, R. (2007). The defining role of structure (including epitaxy) in the plausibility of homeopathy. Homeopathy, 96(3), 175–182. https://doi.org/10.1016/j.homp.2007.03.009
  • The Nobel Foundation. (2002). Pressemitteilung: Der Nobelpreis in Chemie 2002. https://www.nobelprize.org/prizes/chemistry/2002/8853-pressemitteilung-der-nobelpreis-in-chemie-2002/

Verf.: qk | Rev.: glt | Lekt.: pz | zuletzt geändert 2.8.2025